Okkervil River – John Allyn Smith Sails
Der US-amerikanische Dichter John Berryman, geboren 1914 als John Allyn Smith, hatte sein gesamtes Leben lang einen treuen Begleiter: Den Selbstmord. Es begann mit seinem Vater, einem Banker, der sich erschoss, als der kleine John gerade mal zwölf Jahre alt war. Dieses Ereignis sollte ihn zeit seines Lebens nicht mehr loslassen und führte dazu, dass Berrymans Gedichte immer wieder um das Thema Suizid kreisten. Doch damit nicht genug, hinzu kam noch, dass auch zahlreiche von Berrymans Kollegen und Freunden – unter anderem Sylvia Plath und Randall Jarrell – ihrem Leben ein vorzeitiges Ende setzten.
Wie so viele gebeutelte Künstlerseelen trieb es John Berryman in den Alkoholismus und in Depressionen. Der Mann mit dem imposanten Bart und der großen runden Brille galt außerdem als Exzentriker, der als Leiter des Writers‘ Workshop an der University of Iowa seine Schüler beleidigte, ihre Gedichte aufs heftigste verriss und sich teilweise sogar mit ihnen prügelte. Kurzum: Berryman lebte das Leben es gebrochenen Genies.
Das alles führt uns zu unserer heutigen Station, dem 7. Januar 1972. Denn an diesem Tag war es schließlich auch für John Berryman soweit. Ich übergebe hiermit das Wort an Will Sheff, den Frontmann von Okkervil River, der sich im obigen Song in den Dichter hineinversetzt und aus seiner Perspektive die letzten Momente seines Lebens besingt. Schon die ersten beiden Zeilen sind dabei ein grandioser Kunstgriff:
By the second verse, dear friends,
My head will burst and my life will end
Also nichts wie rein in die besagte zweite Strophe, in der sich Berryman von einer Brücke in Minneapolis stürzt:
From a bridge on Washington Avenue,
the year of 1972 broke my bones and skull,
and it was memorable.[…]
And at the funeral, the University cried at three poems
they’d present in place of a broken me.
Am Ende wechselt das Lied dann in das Traditional Sloop John B, welches von den Beach Boys bekannt gemacht wurde. Bloß dass sich die Worte auf einmal nicht mehr auf ein altes marodes Schiff namens John B., sondern auf John Berryman beziehen:
I hear my father fall,
and I hear my mother call,
and I hear the others all whispering, come home.
I’m sorry to go. I loved you all so,
but this is the worst trip I’ve ever been on.[…]
So hoist up the John B. sail!
See how the main sail sets.
I’m full in my heart and my head and I want to go home,
with a book in each hand, in the way I had planned.
I feel so broke up, I want to go home.
Wer an dieser Stelle noch nicht davon überzeugt ist, dass Will Sheff zu den großartigsten Songwritern unserer Zeit gehört, der sollte die beiden wunderbaren Okkervil River-Werke „The Stage Names“ und „The Stand Ins“ hören und sich selbst überzeugen. Bleibt nur zu hoffen, dass es das Schicksal mit diesem Genie besser meint, und uns der gute Will noch so lange wie möglich erhalten bleibt.
Der Post erschien ursprünglich im Rahmen der „Reise durch die Zeit„.
Tags: okkervil river, The Beach Boys
Danke für diesen schönen Beitrag!
Die Texte von Okkervil River sind einfach umwerfend.