The Indelicates – We Love You Tania (Live in Liverpool) (kaufen/downloaden)
Nicht nur in Deutschland waren die 70er Jahre gezeichnet von linksradikalem Terrorismus. Auch die USA blieben nicht verschont. Eine der Terrorgruppen dort: Die SLA, kurz für Symbionese Liberation Army. Bekannt wurde diese Gruppe, deren Mitglieder man an zwei Händen abzählen konnte, vor allem durch eine spektakuläre Entführung. Patty Hearst wurde am 4. Februar 1974 von der SLA gekidnappt, zwei Monate später war sie dann auf einmal als Mitglied der Gruppe an einem Banküberfall beteiligt. Bis heute weiß keiner außer ihr (wenn überhaupt), ob das ein klassischer Fall des Stockholm-Syndroms war, ob sie einer Gehirnwäsche unterzogen wurde oder ob sie vielleicht wirklich ein Mitglied der SLA sein wollte und auch war. Aber der Reihe nach…
Patty Hearst, Jahrgang 1954, ist die Enkelin des US-Amerikanischen Multimillionärs und gescheiterten Politikers William Randolph Hearst (1863-1951), zu dessen Medienimperium unter anderem weltbekannte Titel wie die Cosmopolitan gehörten. Sie kannte also vor allem die Sonnenseite des Lebens. Sie selbst wird im Biopic „Patty Hearst“1 zitiert: „I enjoyed a normal childhood. My four sisters and I were not raised like rich people. We were priviledged or even overpriviledged – not spoiled.“
Die SLA unter ihrem Anführer Donald „General Field Marshal Cinque Mtume“ DeFreeze stellte für die Freilassung im Laufe der Zeit verschiedene Forderungen. Zuerst sollten zwei vorher wegen Mordes verurteilte und im Gefängnis sitzende SLA-Mitglieder freigelassen werden, später ging es dann um Geld, das in Form von Essen an die Armen verteilt werden sollte. Die Mitglieder der SLA waren zwar keine Gutmenschen, dafür brachten sie zu viele Menschen um, aber sie kämpften auch für etwas, an das sie glaubten. Und obwohl zumindest der letzteren Forderung nachgekommen wurde, sah Familie Hearst ihre mittlere Tochter noch einige Zeit nicht wieder.
Das nächste Mal, dass sie sie sahen, war auf einem Foto des FBI mit einer Schrotflinte in der Hand. Schon als „normale“ Geisel hatte die SLA Patty Nachrichten auf Kassette einsprechen lassen, die dann den Eltern oder gleich den Medien zugesandt wurden. In der Audionachricht des dritten Aprils 1974 gab Patty Hearst bekannt, dass sie sich unter dem Namen Tania –nach Tania Burke, der deutsch-argentinischen Vertrauten und angeblichen Geliebten Ché Guevaras – der SLA angeschlossen habe und von nun an gegen das faschistoide amerikanische System kämpfen würde. Bei ihrem ersten großen „Kampfeinsatz“, einem Bankraub, für den sie später auch ins Gefängnis musste, entstand dann ein Foto von ihr, das bis heute weltbekannt ist.
Selbst nachdem ein Großteil der Gruppe bei der Erstürmung ihres Versteckes getötet wurde, blieb Patty den zwei weiteren verbleibenden „Kameraden“ und der sich gerade formierenden zweiten Generation treu, bevor sie am 18. September 1975 verhaftet und im folgenden Jahr zu 35 Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Nach nur 21 Monaten wurde sie allerdings vom damaligen Präsidenten Jimmy Carter, 2001 noch einmal vollständig von Bill Clinton an dessen letztem Tag im Amt (an dem er insgesamt 120 Begnadigungen aussprach) begnadigt. Patty Hearst wurde unter ihrem bürgerlichen Namen und später mit dem Nachnamen ihres Bodyguards, den sie irgendwann heiratete, vor allem als Autorin und Schauspielerin bekannt.
Für die Popkultur bleibt sie aber als absolut streitbare Figur wesentlich wichtiger. Neben dem schon erwähnten Biopic, das gerade am Anfang mehr wie ein Kunstfilm denn wie ein relativ realistischer Thriller wirkt, aber gerade dadurch auch seinen Reiz entfaltet, gibt es noch eine ganze Reihe weiterer Dokumentations- und Spielfilme über die SLA und Patty Hearst, unter anderem den Sexploitation-Film „Tanya“ von 1976. In Deutschland haben sich zum Beispiel Stereo Total hier hervorgetan, die nicht nur auf ihrem 2007er Album „Paris<>Berlin“ über Patty Hearst singen, sondern den Song auch in einem Hörspiel für den BR verarbeitet haben.
Stereo Total – Patty Hearst
Neben einer ganzen Menge anderer Musiker haben erst kürzlich die Indelicates einen Song über Patty Hearst veröffentlicht. Bevor ich jetzt aber Anfange, den Song hier zu interpretieren, lasse ich lieber Julia und Simon selbst zu Wort kommen. Wir haben die beiden nämlich vor kurzem bei ihrem Gastspiel in Frankfurt Interviewt. Dabei ging es um den Song „We Love You, Tania“, Songs über (zeit)geschichtliche Figuren im Allgemeinen und um ihr Leben als Band und Labelmacher. Aber lest selbst – der Text hier ist schließlich schon lang genug.
„We Love you, Tania“, ist ja nicht der Erste Song von euch, in dem es um eine bestimmte historische Person geht. Wieso schreibt ihr so häufig Songs über real existierende Personen?
Simon: Der Song ist wirklich ein gutes Beispiel dafür, was wir allgemein mit unseren Songs erreichen wollen. Er ist über eine reiche junge Frau, die irgendwann durchgeknallt ist. Ein großer Teil des zweiten Albums ist eigentlich über dumme junge Leute, was mit ihnen passiert und wie sie es übertreiben mit dem, woran sie glauben. Patty Hearst ist ein gutes Beispiel dafür. Wobei, der Song ist nicht wirklich über Patty Hearst, sie ist nur eine von den Personen, deren Namen zu erwähnen schon ein kleiner Skandal ist.
Julia: Es gibt eine ganze Menge Leute in unserem Bekanntenkreis, die ein bisschen so sind. Aber deren Namen können wir natürlich nicht für so etwas benutzen.
Simon: Ich würde sagen, Patty Hearsts Geschichte ist keine seltene. Es gibt auf der Welt eine Menge reicher Kinder, die irgendwann zu Terroristen werden. Es sind nur selten die ärmeren Leute, die so was machen. Die reichen Kinder wandern oft in diese seltsamen Denkrichtungen.
Und Jeff Buckley, um den es ja auf eurem ersten Album ging, wie war das da?
Simon: Das war schon speziell auf ihn gemünzt. Ich habe mal irgendwann einen Beitrag im Fernsehen über ihn gesehen, wo jede Menge Leute meinten: „Ja, wenn er noch leben würde, dann würde er dies und das tun“ und das fand ich ziemlich dämlich. Man kann ja nicht wissen, was passiert wäre. Es ging mir in dem Song über die Selbstmythologisierung in der Popmusik. Eigentlich mag auch ich Jeff Buckley, aber wer weiß, ob er später großartige oder beschissene Alben gemacht hätte.
Das waren ja schon zwei Songs, in denen es um Personen der Zeitgeschichte geht. Recherchiert ihr für solche Songs viel? Lest ihr Biografien oder so?
Simon: Ja, tun wir. Bei Jeff Buckley jetzt nicht, da wusste ich schon genug. Über Patty Hearst hab ich aber eine ganze Menge gelesen.
Julia: Es gibt auch einen sehr guten Film über ihr Leben. Den solltet ihr euch anschauen!
… nicht nur die Themen der Songs sind bei den Indelicates teilweise andere als bei anderen Bands. Sie sind auch in ihrem Tun, sowohl als Band als auch außerhalb dieses Kontextes, etwas Besonderes…
Vor zwei Jahren, als euer letztes Album erschien, hattet ihr noch Jobs neben eurer Musikerkarriere. Habt ihr die immer noch, oder nimmt euch jetzt eure komplett selbst organisierte Musik alle Zeit dafür?
Julia: Ich arbeite noch hier und da, aber es ist weniger geworden. Unsere Musik-Workshops für Kinder sind dieses Jahr fast komplett eingestellt worden, weil die Städte kein Geld mehr für so etwas haben. So was ist halt das erste, was sie in einer Rezession streichen. Was besonders schade ist, weil die Schulen, wo wir solche Workshops gemacht haben, jetzt so ziemlich gar kein künstlerisches Fach oder so etwas haben.
Simon: Das ist schade für uns, aber noch beschissener für die Schulen.
Julia: In den Workshops ging es ja auch nicht darum, den Kids zu zeigen, wie man Songs schreibt oder rappt oder so, sondern, dass man sich irgendwie künstlerisch Ausdrücken kann.
Simon: Wobei, da fällt mir auch die Schule in Brighton ein, wo wir mal waren. Das war eine wesentlich reichere Schule als die, wo wir sonst immer waren. Woanders hat man den ersten halben Tag eigentlich meist dafür gebraucht, dass die Kinder mal aus sich raus kommen. In Brighton war es dann so: ‚Hi, let’s do some work!‘
Julia: Die hatten glaub ich wenig Probleme in ihrem Leben. Kein Missbrauchs-Background, heile Elternhäuser und so. Und sie hießen alle Barley und…
Simon: Du kannst doch hier nicht die Namen sagen! Die können bestimmt alle Deutsch.
Julia: Einer von denen hat dann sogar Shakespeare rezitiert.
Simon: Es war schon schön da, aber ich glaube, dort wurden wir nicht gebraucht. Die Kids in Brighton wussten schon, wie man sich kreativ ausdrückt.
Da habt ihr dann aber wahrscheinlich nicht euren Song „We hate the kids“ gespielt… Anderes Thema: Ihr habt ja eure eigene Plattenfirma aufgemacht, Corporate Records, die sich massiv von anderen Plattenfirmen unterscheidet. Wir kamt ihr auf die Idee für Corporate Records?
Simon: Wir dachten uns einfach, wenn wir genau das Gegenteil von dem tun, was Plattenfirmen seit Jahrzehnten tun und woran sie jetzt scheitern, dann haben wir eine Chance. Das Problem der Musikindustrie ist meiner Meinung nach, wie die gesamte Branche arbeitet. Es wird so viel Geld verschwendet. So viele Leute kriegen für keine Arbeit eine Menge Geld. Und wenn man sich die heutigen Verkaufszahlen ansieht, merkt man, dass einfach kein Geld da sein sollte, um es zu verschwenden. Wir wollten halt nicht 500 Platten pressen, und die dann für 15 Euro pro Stück verkaufen. Das funktioniert heute nicht mehr. Deshalb haben wir dieses ganze Pay-What-You-Like-Modell aufgebaut. Wir wollen so viel wie möglich veröffentlichen und das soll sich dann möglichst weit verteilen. Und wenn die Leute bezahlen, ist das toll, aber wir wissen auch, dass sie es eh kostenlos bekommen, wenn sie wollen. Bei uns wird kein Geld für Cover-Designer oder gar Werbung ausgegeben, bei uns wandert das Geld fast komplett an die Künstler. Und bisher scheint das zu funktionieren. Am Anfang hatten wir schon Angst, dass niemand bezahlen würde, aber die Angst war zum Glück unbegründet.
Funktioniert es denn nur für euch oder auch für die anderen Künstler bei Corporate?
Julia: Die meisten Leute dort sind schon gut und bei denen funktioniert es auch mehr oder weniger. Ein paar gibt es aber auch, die sich darüber beschweren, dass niemand sie downloadet oder für sie zahlt. Denen sagen wir dann, dass ja niemand weiß, wer sie sind, und sie das schon selber lösen müssen. Aber das war ja immer schon so.
Simon: In den 70ern war D.I.Y. ja mal das große Ding, aber eigentlich gibt es erst heute die richtig guten Möglichkeiten dafür. Du bist nicht mehr eingeschränkt, wie viele Kopien von deinen Songs du bezahlen kannst. Das geht alles viel einfacher im Internet. Aber gleichzeitig enthält Do-It-Yourself eben auch das „Doing“, das Selbermachen. Damals wie heute. Aber die Frage war ja, ob andere Bands auch bei Corporate Records Geld verdienen. Wir sind denk ich schon die erfolgreichste Band auf der Seite, aber nicht die einzige, die was verdient.
… wir sprachen auch noch über das nächste Indelicates-Album, das noch dieses Jahr erscheinen soll. Dazu aber dann später mehr. Unter einer anderen Überschrift.
Am Interview wirkte Basti Arnold vom Campusradio Mainz mit.
- Deutscher Titel: „Schreie im Dunkel“, 1988, Regie: Paul Schrader; nach der Autobiographie „Every Secret Thing“ [↩]
Tags: Jeff Buckley, Stereo Total, The Indelicates
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