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Eine musikalische Reise durch die Zeit. Teil 54: Der Jesus des 20. Jahrhunderts.
von jonas | 30.April 2010
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Against Me! – Cliché Guevara
Wir schreiben den 9. Oktober 1967, es ist Mittagszeit im kleinen bolivianischen Dorf La Higuera. Ein gewisser Mario Terán hat sich endlich genug Mut angetrunken, um den ihm auferlegten Befehl auszuführen. Vielleicht etwas zu voreilig hatte sich der Feldwebel der bolivianischen Armee freiwillig dazu gemeldet, einen Gefangenen zu exekutieren. Nicht irgendeinen wohlgemerkt, sondern den legendären Revolutionär und Guerillakrieger Ernesto Guevara de la Serna, von aller Welt kurz Che genannt. Um 13:10 Uhr treffen neun Kugeln aus Teráns Maschinengewehr Che Guevara, der sofort tot ist.
Was Ches letzte Worte waren, ob er gejammert und um Gnade gefleht hat oder sich ganz cool und unerschrocken gab, ist nicht überliefert. Wenn es stimmt, dass kurz vor dem Tod das eigene Leben noch einmal vor dem geistigen Auge vorbeizieht, dann hat Che Guevara in diesen letzten Sekunden unter anderem folgendes gesehen: Seine Kindheit in Argentinien als Sohn einer großbürgerlichen Familie; sein Medizinstudium, das ihn auf zahlreiche Reisen quer durch Lateinamerika das Elend der dortigen Bevölkerung vor Augen führte; seinen Einsatz als Kommandante in der kubanischen Revolution, die 1959 zum Sturz des Diktators Batista führte; seine Zeit als kubanischer Industrieminister und Leiter der Zentralbank; schließlich die Guerillakriege in den Dschungeln des Kongos und Boliviens.
Doch sein Tod war erst der Beginn eines gigantischen Mythos. Zweifellos hat das 20. Jahrhundert Ikonen in rauher Menge hervorgebracht, aber wohl keine davon verfügt über eine ähnlich messianische Strahlkraft wie Che Guevara. Er steht für Idealismus genauso wie für Coolness, für Rebellion genauso wie für Individualismus, verbindet Popkultur mit Politik. Er gibt einem das wohlige Gefühl, auf der richtigen Seite zu stehen, die außerdem noch irgendwie verrucht und sexy ist. Das Foto, auf dem er geradezu majestätisch in die Ferne blickt, hat sich in das kollektive Gedächtnis der Geschichte eingebrannt und die Jahrzehnte überdauert. Auch wenn es für einige blasphemisch klingen mag: Che Guevara war der Jesus des 20. Jahrhunderts.
Doch der Songtitel des obigen Liedes von Against Me! trifft es ziemlich gut, denn kein Symbol hält ewig, irgendwann wird durch Abnutzung ein Klischee daraus. Und so ist das Abbild Che Guevaras inzwischen dazu verdammt, auf T-Shirts gedruckt zu werden, mit denen liebevoll erzogene Bürgerkinder verzweifelt versuchen, sich das letzte bisschen Abgrenzung zu erhalten.
künstlerkollektiv: against me
file under: reise durch die zeit | Kommentare deaktiviert für Eine musikalische Reise durch die Zeit. Teil 54: Der Jesus des 20. Jahrhunderts.
kommentare verboten. was wir schreiben, stimmt auch.