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Phono Pop 2010. Das Festival zum Liebhaben.
von jonas | 13.Juli 2010
Es gibt Festivals, die man einfach liebhaben muss, und das Phono Pop in Rüsselsheim zählt ohne Frage dazu. In diesem Jahr unter den wachenden Augen der Adam Opel-Statue auf dessen altem Werksgelände veranstaltet, bot es mal wieder alles, was das Herz begehrt: Handverlesene Bands, gemütliche Atmosphäre, faire Preise, keine stressigen Überschneidungen von Lieblings-Acts, kurze Wege, gute Organisation – hier etwas zu meckern zu finden, fällt wirklich schwer. Und dazu war auch noch das Wetter am vergangenen Wochenende sonnig ohne Ende. Beste Voraussetzungen also für zwei Tage im Zeichen des Musikgenusses.
Die Aufgabe, das Festival am Freitagabend auf der Hauptbühne zu eröffnen, stand Urlaub in Polen zu, die mit Sonnenbrillen versuchten, der Helligkeit zu trotzen. Ihren experimentellen Elektro-Noise-Rock kann man sich zweifellos besser in engen, stickigen Clubs vorstellen als auf sonnenüberfluteten Freilichtbühnen. Nichtsdestotrotz ein guter Beginn. Anschließend waren Fnessnej auf der kleineren Zeltbühne dran. Die in bunten T-Shirts gekleideten Jungs benutzten allerhand verschiedene Instrumente und andere Gegenstände, um das Publikum mit ihrer durchgeknallten, aber stets melodischen Elektro-Frickelei zu unterhalten.
Dann war bereits das erste große Highlight an der Reihe: Health. Wenn man deren aktuelle Platte kennt und glaubt, einigermaßen zu wissen, was live auf einen zukommt, hat man sich geschnitten. Denn in Wahrheit hat man keine Ahnung, was einen erwartet. Die Band war einfach nur unglaublich laut, unglaublich dreckig – und unglaublich gut. Ihr animalischer Noise-Rock setzt auf der Bühne eine unbändige Energie frei, das Schlagzeug appelliert an Urinstinkte, überhaupt scheint alles nur aus Krach und Perkussion zu bestehen. Der Schlagzeuger ist ein bärenstarkes Biest. Vom Gitarristen kommt eine ätherische, völlig entrückte Stimme. Und dann ist da in der Mitte dieser Bassist mit den Haaren im Gesicht, der – wenn er seinem Instrument nicht gerade wabernde Fuzz-Schwaden entlockt – das Mikro fest umklammert hat, obwohl er keinen einzigen Ton hineinsingt, es an Verstärker hält, und manisch Knöpfe an seinem übermäßig großen Effektboard dreht. Alles schreit nach Kontrollverlust, aber irgendwie schafft es die Band, immer noch Herr ihrer Songs zu bleiben. Ein beeindruckendes Klanginferno.
Health
Und ebenso beeindruckend ging es auch weiter, mit Trip Fontaine nämlich, der derzeit wohl besten deutschen Post-Core-Band. Oder machen sie eher von Punk und Math-Rock durchsetzten Indie? Ach, was sollen die ganzen Schubladen: Trip Fontaine sind einfach eine Rockband, wie sie im Jahr 2010 sein sollte: laut, verspielt, clever und selbstironisch. Die Songs vom noch immer akuellen Album „Dinosaurs in Rocketships“ sind schlichtweg sensationell, und auch das neue Material klang sehr vielversprechend. Ich freu mich jedenfalls schon derbe auf die neue Platte.
Danach standen Turbostaat auf dem Programm. In der Vergangenheit blieb es mir immer verschlossen, was alle so toll finden an dieser Band. Aber das mag zu einem gewichtigen Teil daran gelegen haben, dass ich sie bisher meist auf größeren Festivalbühnen gesehen habe, wo der Sound ziemlich matschig und undifferenziert war. Denn achtet man mal etwas genauer darauf, was die beiden Gitarren da machen, dann merkt man schnell, dass das kein 08/15-Punkrock ist, sondern im Gegenteil ziemlich durchdacht. Dazu kommen diese so kryptisch wirkenden Parolen, die jede Vereinnahmung von welcher Seite auch immer verweigern. Und bei den neueren Stücken zeigen sie zudem auch noch Mut zu hymnischen Refrains. Fazit des Auftritts: Zwar immer noch nicht meine Lieblingsband, aber immerhin sind sie dank des Phono Pop schonmal ziemlich in meiner Gunst gestiegen.
Turbostaat
Apropos, wo wir gerade von Lieblingsbands gesprochen haben: Meine absolute Lieblingsband derzeit nennt sich Japandroids. Und die stand – oh Wunder der Überleitung! – als nächstes auf der Bühne. Mit meinem Enthusiasmus für das Duo scheine ich übrigens beileibe nicht alleine dazustehen, denn auch der Rest des Publikums, das sich vor der Zeltbühne drängte, wirkte sehr euphorisch. Und natürlich war der Auftritt – wie auch bereits der erste, den ich von ihnen sah – ganz fantastisch. Man darf sich das etwa so vorstellen: Die Gitarre klingt gleichzeitig dreckig verzerrt und sehnsuchtsvoll, das Schlagzeug scheppert, das es eine Pracht ist, und dazu erklärt einem eine rastlose Stimme in wenigen Worten die Welt. Eine bessere Noise-Rock-Katharsis als ein Konzert dieser Band lässt sich kaum vorstellen.
Get Well Soon waren anschließend genau das Richtige nach all den lauten Bands und ein gelungener Abschluss des ersten Tages. Die hymnischen Balladen der Band um das German Wunderkind Konstantin Gropper passten einfach wunderbar in die langsam Abkühlung spendende Dunkelheit. Auch wenn ich das zweite Album nicht ganz so gut finde wie das Debüt, live konnten eigentlich alle Songs überzeugen. Und man merkte, dass die Band inzwischen gut aufeinander eingespielt ist und ihre Auftritte genießt.
Get Well Soon
Der Samstag begann nachmittags mit der Wiesbadener Band Rokoko, zu deren Indie-Pop man gut im Schatten sitzen und mit dem Fuß mitwippen konnte. Danach folgten B.E.E.S. mit ihrem entspannten Folk-Pop – sehr charmant und auch genauso sommerkompatibel. Rockiger wurde es dann mit Mintzkov aus Belgien, einem Land, das trotz seiner geringen Größe bereits einige gute Indie-Bands hervorgebracht hat.1 Die vier Jungs und das Mädel am Bass überzeugten mit lässigen Schrammel-Gitarren fernab von aktuellen Trends und Hypes. Wenn das nicht latent nach einer Beleidigung klingen würde, könnte man sagen, dass sich ihre Musik perfekt zum Autofahren durch weite und verlassene Landschaften eignet. War auf jeden Fall super.
Anschließend war auf der Hauptbühne Melancholie angesagt, denn die Vorzeige-Briten I Am Kloot betraten die Stage. Und was für ein famoses Bild sie dort abgaben: Sänger und Gitarrist Johnny Bramwell mit seinem original englischen Trinkergesicht, der Bassist im Sitzen tief über sein Instrument gebeugt und der Drummer mit Sonnenbrille und zeitweise pinken Schlagzeugbesen. Zwischen den grandiosen Songs über „drinking and disaster“ (O-Ton Bramwell) gab es außerdem wunderbar britisch genuschelte Ansagen. Und der arme Sänger schwitzte in der Sonne tatsächlich beinahe sein gesamtes Hemd voll – das ist wahrer Einsatz!
I Am Kloot
Die darauffolgenden Spurve Laerke sind dagegen ziemlich an mir vorbeigegangen. Also weiter zu Melancholie Teil 2, diesmal aus Deutschland: Unser aller Lieblings-Singer/Songwriter Gisbert zu Knyphausen war zusammen mit seiner Band an der Reihe. Bei seinen Zwischenansagen scheint noch immer diese lausbubenhafte Schüchternheit durch, aber sobald er seine Akustikgitarre mit dem „Musik ist scheiße!“-Sticker drauf2 anschlägt und dazu singt, merkt man, dass er zu den ganz großen seiner Zunft gehört. Ein schöner Moment: Direkt nach einer Songankündigung von Gisbert erschallt lauter Jubel von der anderen Seite des Geländes – Thomas Müller hatte gerade das 1:0 für Deutschland geschossen, unter den Augen derjenigen, die die Fußballleinwand dem Musikprogramm vorzogen.
Gisbert zu Knyphausen
Weiter ging es mit der isländischen Band Who Knew, der man ihre Herkunft aber kaum anhörte. Schließlich spielen sie gerne partytauglichen Indie-Rock voller jugendlichem Leichtsinn. Außerdem verzichten sie unter heißen Bühnenscheinwerfern möglichst auf überschüssige Bekleidung. Eine ihrer Aufforderungen an das Publikum bringt eigentlich schon ziemlich genau auf den Punkt, worum es geht: „Please jump around and do silly things!“ War insgesamt nicht ganz so meine Musik, aber dennoch ein mitreißender Auftritt.
An dieser Stelle ist nun die Zeit gekommen, ein Geständnis abzulegen: Ich habe mich nie wirklich eingehend mit dem Werk von Blumfeld auseinandergesetzt. Das mag töricht sein, ist aber so. Die Soloplatte von Jochen Distelmeyer aus dem letzten Jahr konnte mich jedenfalls nicht begeistern. Und auch live fand ich ihn und seine dazugehörigen Backing-Band eher langweilig. Zudem kam er nicht unbedingt sympathisch rüber, fand ich. Aber naja, so kann man sich wenigstens zwischendurch ohne schlechtes Gewissen der Nahrungsaufnahme zuwenden.
Die nächste Band, Flashguns, wird in England momentan wohl ziemlich gehypt. Man sieht: Ein oberkörperfreies englisches Arbeiterkind mit Hooligan-Frisur an der Gitarre, ein verschüchterter Nichtsoganz-Dandy am Bass und ein rothaariger Normalo am Schlagzeug. So weit, so verstörend. Man hört: Mal heftigen Rock, mal verkappte Indie-Hits für die Tanzfläche, mal Psychedelisches. So ist das wohl, wenn man heutzutage Myspace und Youtube sei Dank mehr unterschiedliche Einflüsse hat, als man an Händen und Füßen abzählen kann. Insgesamt wirkt das Ganze irgendwie noch etwas unentschlossen. Aber die Band ist ja noch jung, und man wird ganz sicher noch von ihnen hören in Zukunft.
Flashguns
Die letzte Band des Samstagabends und somit auch des gesamten Festivals war anschließend Friska Viljor aus Schweden. Was alle an denen finden, kann ich allerdings nicht so richtig nachvollziehen. Für mich klingt ihr Indie-Folk-Kneipen-Rock wie ABBA für Leute, die gerne Bier trinken. Vor lauter Kumpelhaftigkeit und angetrunkenem Schulterklopfen vergessen sie meiner Meinung nach zu sehr, auch mal gute Songs zu schreiben. Aber naja, ich will niemandem seinen Spaß verübeln, das Publikum auf dem Phono Pop zeigte sich jedenfalls ziemlich begeistert von der Band.
Friska Viljor
Außerdem musste ich so auch nicht traurig darüber sein, bereits vor Ende des Auftritts zur S-Bahn nach Mainz eilen zu müssen, hinter mir zwei Tage mit exzellenter Musik und zahlreichen schönen Momenten. Phono Pop, wir werden uns wiedersehen!
Mehr Fotos vom Phono Pop 2010 gibt es hier zu sehen.
künstlerkollektiv: B.E.E.S., blumfeld, deus, Flashguns, Fnessnej, friska viljor, get well soon, Gisbert zu Knyphausen, health, I am kloot, Japandroids, Jochen Distelmeyer, Mintzkov, Rokoko, Spurve Laerke, trip fontaine, turbostaat, Urlaub in Polen, Who Knew
file under: Festivalsommer 2010, live und in farbe | 2 kommentare »
18.Juli 2010 at 9:22 pm
also der Distelmeyer-Diss geht vollkommen in ordnung, friska viljor hingegen machen doch mit ihrer bierseligkeit soviel spaß, dass sie gar keine guten sogns bräuchten, auch wenn sie derer doch mindestens 4 haben ;)
ansonsten rundum gelungenes festival, wie ich fand!
28.Juli 2010 at 1:29 am
also ich hätte ja liebend gerne an diesem Festival teil genommen, aber wir wurden darauf aufmerksam gemacht, das dieses Festival erst für volljährige Menschen betretbar sei. Eine Frechheit so etwas nicht auf der Website zu sagen, also mussten die Karten wieder vertickt werden und das Geld anders investiert werden und die Vorfreude auf die Bands war das einzige was umsonst war..