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Melt! 2010. Der Festivalbericht. Teil 3: Sonntag.

von | 30.Juli 2010

… und schon näherte sich das Festival dem Ende. Der Sonntag, erst zum dritten mal überhaupt Teil des Festivals, ist noch immer der kürzeste Tag. Aber nach mindestens zwei mehr oder weniger durchfeierten Tagen und Nächten, reicht es ja auch, wenn zumindest die Headliner um Mitternacht fertig sind. Und ein paar kleinere Bühnen haben ja selbst dann noch auf.

Ihr kennt das Spiel: Jonas schreibt in Blau, Matze in Rot.

Ich hab ja schon am Samstag rumgeheult, dass mir die Füße wehtaten, am Sonntag litt ich dann aus noch anderen Gründen: Müdigkeit. Da wir ja schon seit Donnerstag auf dem Melt! waren, hatte ich in den drei Nächten zuvor ungefähr soviel geschlafen wie sonst in einer. Und auch mit der Musik reicht es irgendwann einmal. Irgendwann kann man beim besten Willen nicht mehr jeden Eindruck aufnehmen und alles verschwimmt zu einem großen etwas.

Bei mir war es gerade umgekehrt: Nachdem ich Freitag ziemlich unfit war, hielt ich anschließend von Tag zu Tag länger durch. Eine gelungene Melt!-Assimilation also. Für mich sollte der Sonntag keineswegs schon um Mitternacht enden. Aber dazu später mehr…

Ganz so schlimm war es auf dem Melt! dann aber auch am Sonntag nicht. Ich wüsste allerdings nicht, ob ich zum Beispiel auf dem Sziget am fünften Tag noch großen Spaß haben würde. Doch das ist ein anderes Thema. Auf dem Melt! kam dann nämlich noch hinzu, dass mich das Line-Up am Sonntag nicht so sehr begeisterte wie manch anderen. Kings of Convenience halte ich für äußerst langweilige Fahrstuhl-Musik, Turbostaat für extrem billigen Proleten-Punk und Massive Attack finde ich einfach nur anstrengend. Vorteil dieser Konstellation: Man stresst sich nicht und ärgert sich auch nicht, irgendwas tolles verpasst zu haben.1

Pah, da muss ich aufs energischste widersprechen! Wer Kings Of Convenience als Fahrstuhl-Musik abtut, hat entweder kein Herz oder sich die Band nie richtig angehört. Ihr Auftritt am Nachmittag war jedenfalls einfach nur wunderschön – und zudem genau das richtige zur sanften Einstimmung auf den Konzertreigen. Zu Beginn nur mit zwei Akustikgitarren und zwei Engelsstimmen bewaffnet, gelang es den beiden Norwegern sofort, das Publikum in ihren Bann zu ziehen. Simon & Garfunkel 2.0, könnte man sagen. Nachher kamen dann zur Unterstützung noch ein Bassist sowie ein Bratschist auf die Bühne, den Erlend Oye auf einer WG-Party in Berlin aufgegabelt hat, wie er ganz charmant erzählte. Überhaupt: Ich habe lange nicht mehr so liebenswerte Zwischenansagen gehört (Ich sage nur: „Mitklatschen ist was für Eric Clapton-Konzerte! Wir sind hier auf einem Elektro-Festival, also macht doch einfach alle: unts, unts, unts…“).

Weiter gings dann mit Johnossi, die einen ziemlich kurzen, aber dafür auch angemessen knackigen Gig hinlegten. Von jedem der drei Alben ein paar Songs, alle Hits dabei, ein paar mal aufs Schlagzeug geklettert und runtergesprungen, und eh man sich versah, war das Konzert auch schon rum.

Ein paar äußerst sehenswerte Sachen gab es aber auch für mich am Sonntag. Zum Beispiel Get Well Soon. Zum vierten Mal sah ich an diesem Nachmittag Konstantin Gropper mit seiner Band live, und zum vierten mal schien die Sonne (bzw. war es zumindest noch hell). Eigentlich passt die Musik ja mehr zu einer sternenklaren Nacht oder gar in herbstliches Wetter, aber irgendwie ist es auch äußerst schön und entspannend, sich einfach in die Sonne den Schatten zu legen, die Augen zu schließen und der Musik zu lauschen.

Ha, da hab ich dir was Voraus! Ich habe Get Well Soon nämlich eine Woche zuvor auf dem Phono Pop bei Nacht gesehen. Aber ob das wirklich besser passt, weiß ich gar nicht so genau, ich fand sie jedenfalls beide Male toll.

Bei den Broken Bells zog es aber auch mich wieder ziemlich weit vor die Bühne.

Joa, Broken Bells – die Band von Shins-Sänger und Kevin Spacey-Lookalike James Mercer sowie Produzentenfuchs Danger Mouse – war ganz nett, mehr aber auch nicht fand ich. Die hatten einfach viel zu viele Instrumente auf der Bühne und der Sound war dafür zu undifferenziert.

Und danach ging es noch ein letztes Mal ins Zelt zu meinem persönlichen Highlight des Sonntags: Fucked Up. Die passten als Hardcore-Band zwar nur leidlich ins restliche Line-Up, aber das war sowohl Band als auch Publikum sichtlich egal. Die einzigen Menschen, die wohl wenig Spaß am Auftritt hatten, waren die Securitys, denn die mussten die ganze Zeit das Mikrofonkabel von Sänger Damian Abraham halten. Der „beleibte und rückenbehaarte kanadische Extrempunk“2 verbrachte nämlich seine Zeit lieber bei den Zuschauern als auf der Bühne, umarmte dort die Fans (vielleicht wischte er aber auch nur an ihren T-Shirts den Schweiß von seinem nackten Oberkörper), trug sie durch die Gegend und feierte mit ihnen. Der Rest der Band wirkte dabei zwar teilweise etwas verloren auf der Bühne, aber die haben es ja nicht anders gewollt. Sonst wären sie wohl nicht in dieser Band.

Auch Turbostaat machten danach im Zelt ziemlich Alarm. Zwar dürfte das Melt!-Publikum eigentlich nicht gerade ihrer Kernzielgruppe entsprechen, aber die Jungs fühlten sich auf der Bühne dennoch sichtlich wohl und geizten am Ende nicht mit Zugaben. Und wenn Kollege Matze das für „billigen Proleten-Punk“ hält, soll er bitte mal auf die Gitarren achten. Oder auf die Texte. Oder sich einfach furchtlos in den Pogo-Pit schmeißen. Mit hat’s jedenfalls gefallen!

Der Rest des Abends ist, zumindest von meiner Seite, schnell erzählt: Goldfrapp waren ganz nett (ein bisschen Glamour und Pathos am frühen Sonntag abend können ja nicht schaden) und Massive Attack waren sicher toll – mir aber ziemlich egal. Und auch wenn das vielleicht nicht das perfekte Ende des Festivals war: Das Melt! 2010 war großartig. Es wird zwar nie mehr so klein und gemütlich sein wie 2005, aber zumindest die organisatorischen Pannen von 2008 wurden behoben. Und: Ich glaube, auf kaum einem anderen Festival dieser Größenordnung sind die Menschen so entspannt wie auf dem Melt!.

So, Matze ist im Bett, dann kann der Spaß ja beginnen… Bei Massive Attack hatte ich allerdings zum ersten und einzigen Mal auf dem Melt! das Gefühl, dass es vor der Bühne zu voll war, das hat ein bisschen gestresst. Aber als ich dann mal einen guten Platz in der Menge hatte, konnte ich den Auftritt schließlich doch genießen. Wobei ich fand, dass die Lightshow mit den ganzen Schlagzeilentickern und den eingeblendeten Zitaten teilweise eher von der Musik abgelenkt hat, als wirklich damit zu harmonieren. An Songauswahl, Auftritt und Sound der einstigen Trip Hop-Pioniere gab es dagegen nichts zu meckern, das war schon grandios. Fazit: Sollte man auf alle Fälle mal gesehen haben.

Mit dem letzten bisschen Restenergie schleppte ich mich anschließend wieder ins Zelt, um mir die allerletzte Band des Festivals anzuschauen: WhoMadeWho. Und das sollte ich nicht bereuen, denn ihr Auftritt entfaltete bei mir eine Energy Drink-artige Wirkung. Zu Beginn konnte ich noch nicht so viel mit dem Four-to-the-Floor-Discorock anfangen, aber nachdem ich mich mal ein Stück nach vorne begab und anfing zu tanzen, gab es schließlich kein Halten mehr. Mit jedem neuen Song wurden meine Bewegungen automatischer und die Stimmung beseelter.

Und auch den höchstwahrscheinlich ebenso ausgepowerten Mittänzern um mich herum ging es genauso. Es wurde solange nach Zugaben verlangt, bis die Band entschuldigend vorbrachte, sie habe nun aber wirklich keine Songs mehr, die sie spielen könnte. Dafür ließen sie sich allerdings zu einem gelungenen Impro-Jam hinreißen, und als der Sänger und Gitarrist nicht mehr wusste, was er spielen sollte, sprang er eben kurzerhand ins Publikum und ließ sich durch die Menge tragen. Nur um dann wieder auf der Bühne angekommen noch ein letztes Mal den Refrain der diesjährigen Melt!-Hymne „Gigantische Stahlgiganten“ anzustimmen. Ein rundum gelungenes Abschieds-Konzert!

Danach feierte ich dann sogar noch mein Debüt auf dem Sleepless Floor und tanzte mir bei Ellen Allien endgültig die Füße zu Brei. Ein weiteres Highlight stand allerdings noch bevor: so etwa um 4 Uhr fuhr vom Sleepless Floor ein Wagen zum Zeltplatz, auf dessen Ladefläche ein paar Leute Schlagzeug, Percussions und ein Synthie bedienten. Hinter diesem Tanzmobil konnte man dann Rattenfänger-von-Hameln-mäßig hinterhergrooven. Wer auch immer auf diese fantastische Idee kam, ihm gehören Lorbeeren verliehen! Die Sanitäter, die gerade zusammenpackten, als das kuriose Gefährt an ihnen vorüberfuhr, guckten jedenfalls einmalig verstört aus der Wäsche.

Als ich anschließend endlich in mein Zelt fiel, stand die Sonne bereits wieder am Himmel. So muss das sein.

Fazit, Listen und so

Top 5-Acts, die ich verpasst habe:

  1. Jónsi
  2. Two Door Cinema Club
  3. Darwin Deez
  4. Jamie Lidell
  5. Dendemann

  1. Chris Cunningham
  2. Simian Mobile Disco
  3. Darwin Deez
  4. Schlachthofbronx
  5. Jamie Lidell

Top 5-Acts, die ich nicht verpasst habe:

  1. The Futureheads
  2. Edu K
  3. Blood Red Shoes
  4. Tocotronic
  5. Fucked Up

  1. Blood Red Shoes
  2. Tocotronic
  3. Health
  4. WhoMadeWho
  5. Kings Of Convenience

Bis zum nächsten Jahr, liebes Melt!

Fotos: H. Stein/S. Noll

  1. Dass WhoMadeWho so toll waren, wie Jonas euch gleich erzählen wird, wusste ich ja zu dem Zeitpunkt noch nicht. []
  2. vgl. intro.de []

file under: Festivalsommer 2010, live und in farbe | 2 kommentare »


2 kommentare zu “Melt! 2010. Der Festivalbericht. Teil 3: Sonntag.”

  1. dani meint:
    30.Juli 2010 at 10:19 am

    das war mit abstand der beste bericht :) mein lieblingssatz: „so, matze ist im bett, dann kann der spaß ja beginnen…“ – wie süß :)

  2. Der Igel an der Orgel meint:
    31.Juli 2010 at 3:04 pm

    Sehr lesenswerte Berichte, Jungens! Die Kings of Convenience als „Fahrstuhlmusik“ zu bezeichnen fällt allerdings unter Majestätsbeleidigung und wird mit einer halben Woche indiestreber-Ignorieren bestraft. Nur der Schreiber in königsblau konnte verhindern, dass es keine ganze wird.
    Es grüßt:
    Der Orgel-Igel (vorübergehend eingerollt)