Saalschutz – Ravepunk für eine bessere Welt
Saalschutz war unter anderem einmal ein früher Ausdruck für die SS. Dass die gleichnamige Band sich nicht auf irgendwelche Nazis bezieht, dürfte aber relativ klar sein. Nicht, weil sie als Schweizer neutral sein müssten, sondern weil sie sich in Texten und vor allem auf Konzerten doch als relativ links darstellen. Bleibt also noch eine mögliche gewollte Provokation, über die man sich streiten könnte.
Dass so eine Provokation nicht ganz ungewollt und durchaus bedacht war, das gibt die Band aber zu. Mir liegt eine email vor, in der sich M.T. Dancefloor von Saalschutz einmal zu genau diesem Thema äußerte:
Wie Sie vermutlich nicht wissen, war die Provokation seit jeher ein Teil der Popkultur. Und wie Sie vermutlich auch nicht wissen, gab es in der Punkzeit in England und den USA Bands, die Namen wie Joy Division (später New Order) oder etwa Blondie trugen.
Vorrausgegangen war der mail eine Plattenbesprechung, in der der Rezensent die Band auf ihren Namen reduzieren wollte und ihr Effekthascherei und/oder rechte Sympathien nachsagen wollte. Viel interessanter ist in der Mail aber eine andere Passage:
Die […] m. E. interessanteste Täuschung besteht darin, dass „Saalschutz“ auf den Namen des im 19. Jahrhundert lebenden Mathematikers und Physikers Louis Saalschütz in alternativer u./o. englischer Schreibweise verweist, dass wir uns als Musiker also eines Eigennamens aus der Naturwissenschaft bedienen.
Das mag zwar etwas weit dahergeholt klingen, und böse Zungen könnten behaupten, dass diese Deutung nichts mit der ursprünglichen Wahl des Namens zu tun hatte, aber M.T. hat recht: Louis Saalschütz war ein – übrigens jüdischer1 – Naturwissenschaftler und Mathematiker im Deutschland des 19. Jahrhunderts. Viel ist zwar nicht über ihn im Internet zu finden, außer der Information, dass er „Über die Wärmeveränderungen in den Höheren Erdschichten Unter dem Einfluss des Nicht-periodischen Temperaturwechsels an der Oberfläche“ (so der Titel seiner Dissertation 1861) und später als Mathematiker u.a. über die Bernoullischen Zahlen forschte. Hier sein gesamtes wissenschaftliches Vermächtnis zu erklären, steht mir weder zu (dafür weiß ich darüber zu wenig), noch würde es hierhin passen. Doch die Existenz dieses Wissenschaftlers und die von der Band vorgeschlagene Heranziehung seiner Person als mögliche Deutung ihres Bandnamens macht ihn – und das neue Album „Entweder Saalschutz“ – hier absolut erwähnenswert.
Zumal die Band auf der Platte ja auch einen passenden Schlusspunkt über den ersten Teil dieses Textes und damit eine perfekte Überleitung zum zweiten liefert:
Irgendwie ist alles anders als sonst
ich weiß nicht was es ist
doch es ist anders als sonst
da kann ja jeder kommen
das kann ja jeder sagen
das ist der Widerspruch, Widerspruch
(aus „Widerspruch“)
So ein bisschen Widerspruch ist ja schön und gut und gehört zu Pop und Rock dazu wie Zwiebeln zum Mettbrötchen, aber kann das neue Album – das erste, das die Band auf Audiolithveröffentlicht, dem Label, mit dem sie schon länger bei Touren und Vertrieb zusammenarbeitet – denn überzeugen?
In einem Wort: Ja.
Es klingt, wie man es ja sowohl von Audiolith-Bands wie auch von Saalschutz gewohnt ist, sehr elektronisch und absolut tanzbar. Und dazu kommen, klar, wie immer, mal politische, mal partytaugliche Texte, oft auch welche, die beides miteinander vereinen. Bestes Beispiel: Die aktuelle Single „Ravepunks für eine bessere Welt“. Selten wurden Party und Weltverbesserungs-Pathos so gut kombiniert.
Aber auch der Rest der Platte, und das unterscheidet sie vielleicht am meisten von den früheren Bandwerken, muss sich nicht hinter der Qualität der Single(s) oder anderen „Hits“ verstecken. Von vorne bis hinten wird viel Energie in die Songs gepumpt, aber es ist eben auch nie too much. Da darf es2 auch mal hymnisch werden im Refrain (bei „Honi soit qui mal y pense“) oder fast schon wie ein Bubblegum-Pop-Song wie „Headliner der Herzen“. Zumal, wenn es daneben Trash-Elektro-Punk-Nummern wie „The Anthem“ gibt, für die man sich am liebsten direkt neue Bassboxen kaufen würde.
Und am Ende ist es dann auch einigermaßen egal, ob die Band das alles nur als Provokation macht, und wie politisch die Texte sind. Am Ende muss es Spaß machen. Der Band und den Zuhörern. Zumindest letzteren dürfte „Entweder Saalschütz“ noch mehr Spaß machen als die ersten beiden Saalschutz-Alben.
Saalschutz – Entweder Saalschutz (ab 29.10.2010, Brokensilence/Finetunes)
Saalschutz – Ravepunk für eine bessere Welt (2010, Brokensilence/Finetunes)
- was das Spiel mit der anderen Bedeutung des Namens Saalschutz noch interessanter macht [↩]
- ok, bei mir darf so was ja immer sein [↩]
Tags: Blondie, joy division, New Order, Saalschutz
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